17. Banteay Srei


Unscheinbar klein, ganz im Grünen versteckt, liegt Banteay Srei, ein Schmuckstück der Khmer-Kunst

Wie ein Smaragd in einer Perlenkette, so wirkt der kleine Tempel Banteay Srei. Doch wie so oft : das Schöne liegt nicht an der Heerstraße der Touristen, sondern etwa dreißig Kilometer von Angkor entfernt. Auch die Straße zu ihm hat weder Pflästerung noch Asphalt, sondern ist ein einfacher Feld- oder Buschweg geblieben, bei nassem Wetter kaum befahrbar. Auch in der Trockenzeit erschweren tiefe R:allen und eine Unmenge Staub das Bejahen mit einem Personenauto. Es ist daher ratsam, einen Jeep oder Landrover zu benützen, wenn man unterwegs nicht steckenbleiben will. Erst führt der Weg von Angkor auf schöner Straße an verschiedenen Tempeln vorbei, bis man den großen östlichen Teich erreicht. Dieser künstlich angelegte See von 7 x 2,5 Kilometern ist schon vor langer Zeit ausgetroclmet, und ein Dorf hat sich hier längs der Straße gebildet. Die Dorfjugend jubelt unserem Wagen zu, überall sind Hühner, Schweine, Hunde, Kühe und Wasserbüffel, alles belebt die Straße, doch wegen der tiefen Staubschicht ist ein schnelles Fahren ohnehin ausgeschlossen. Mensch und Tier haben Zeit, ohne Hast Platz zu machen. Darauf folgen niederer Busch und hohe Bäume -- einige blühen sehr schön, besonders die Papeel, ein Baum, dessen weiße Blüten in der Luft einen feinen Duft zurücklassen. Mitunter kommen Reisfelder, doch nach einstündiger Fahrt sind wir im Walde. Der Weg führt in Windungen immer mehr nach Osten. Hinter dem Wagen wirbelt trotz dem langsamen Fahrtempo eine Staubwolke hoch und sollte hier ein solches Gefährt von einem Gewitter überrascht werden, dann dürften die nächsten Stunden den Mitfahrern lange in Erinnerung bleiben. Der Regen verwandelt Staub in kürzester Zeit in eine glitschige, schmierige Masse. Auch der Straßenbarund weicht bald auf, so daß ein Auto hilflos stehen bleibt und seine Räder an Ort drehen. Bald versinken sie bis an die Achse im Schlamm, und nur ein Ochsen- oder Büffelgespann vermag den Wagen aus dieser peinlichen Lage zu befreien. Aus diesem Grunde sind Reisen auf Buschwegen mit Motorwagen nur bei gutem Wetter zu empfehlen.

Endlich erreichen wir unser Ziel, vor uns öffnet sich eine Lichtung und ganz im Grünen eingebettet liegt der Tempel «Banteay Srei».

Etwas enttäuscht steigen wir aus, denn die kleinen Bauten hinter der Umfassungsmauer gleichen einem Spielzeug. Ungewohnt ist auch der Farbton des Steins, dunkelrötlich mit einer Patina, die oft ins Schwarze spielt. Vergebens warten wir auf ein überwältigendes Erlebnis, man blickt suchend nach einer Hauptfassade, und nur mit Mühe erkennt man den ehemaligen Zustand der architektonischen Anlage. Trostlos uneben ist das Vorgelände, die Wasserflächen sind längst verschwunden. Der kleine Steinbau scheint inmitten der großen Bäume im Boden versinken zu wollen, als schämte er sich, so klein zu sein.

Entdeckt wurde Banteay Srei im Jahre 1914. Eines Tages erschien dort ein geschäfts- tüchtiger Fremder, eignete sich eine Menge der schönsten Plastiken und Reliefs an und wollte mit dieser Fracht, auf zwei Ochsenkarren verladen, das Land verlassen. An einem Grenzort interessierten sich die Zollbeamten für die eigenartige Exportware. Sie fanden dieses Kunstgut von außerordentlicher Schönheit und fragten in Saigon telegraphisch an, ob sie die Ausfuhr solcher alter Kunstwerke gestatten könnten. Die Rückantwort war eindeutig : «Alles zurückbehalten, auch den Mann !» Auf diese Weise gelangten die schönsten Khmer-Plastiken in den Besitz der Regierung, die sich für die Herkunft dieser Schätze sehr interessierte. Dieser mißglückte Diebstahl war zugleich ein Glücksfall, denn nun bewilligte die Behörde alle notwendigen Mittel, um den Tempel wieder aufzubauen Die gestohlenen Kunstwerke wurden erst einmal in Phnom Penh ausgestellt, hernach kamen sie bei der Restaurierung des Tempels wieder an ihre ursprünglichen Standplätze zurück.


Etwa 30 Kilometer lang ist dieser Feldweg nach Banteay Srei, kaum 100 Meter
neben diesem Ochsenkarrensind wri am Ziel.

Portal in Banteay Srei. Holzarchitektur, in Stein Ausgeführt, Anlehnung an javanische Kunst

Der damalige Konservator, Henri Marchal, erhielt den Auftrag, den Wiederaufbau anhandzunehmen. In den Jahren 1931 bis 1936 führte er diese Arbeit mit Eifer und Liebe dem glücklichen Endresultat entgegen.

Der Zustand des Tempels war katastrophal: Keine Türme waren mehr vorhanden, alles war eingestürzt und als großer Schutthaufen ganz von Urwaldbäumen überwachsen. Zudem hatten sich auch wilde Elefanten am Zerstörungswerk beteiligt. Es machte ihnen Spaß, die Baublöcke herunterzuwerfen und Mauern einzudrücken und ihre Kraft am Bauwerk zu messen.

Bei der Instandstellung von Banteay Srei mußte vorerst die Überwucherung beseitigt werden. Nun begann eine zeitraubende Arbeit. Alle Steine wurden ausgegraben oder abgetragen, numeriert, ihr Standort auf Plänen eingezeichnet; dann wurden sie in der Umgebung deponiert. Hernach erstellte man starke Fundamente, und gleich einem Steinbaukasten kam jeder Block wieder an seine Stelle zurück. Da das neue Fundament eben war, paßten auch die Fugen. Von Türmen war nichts zu sehen, der Konservator wußte auch nicht, wie das Dach ausschaute. Standen doch nur große Schutthaufen zur Verfügung und mit diesen Steinen konnte das Puzzle-Spielbeginnen. Da die Fragmente am Boden mit ihren Reliefs und eigenartigen Formen viel Ähnlichkeit mit den Bausteinen eines kleinen Tempels in Angkor Tom hatten (Bild auf Seite 57), benützte Marchal diesen Bau als Vorbild. Seine Vermutung zeigte sehr glückliche Resultate, es konnten aus den Bruchstücken drei Kuppeln zusammengestellt werden. So entstanden. die Bauten neu in ihrer vollen Schönheit. Nach der Restaurierung ist lange geforscht worden, welcher Bauherr diesen architektonischen Wunderbau errichtet hatte. Erst wurde der Tempel einer Königin zugeschrieben, und Banteay Srei erhielt den Namen «Frauentempel». Später ergaben Forschungen, daß ein Brahmane von königlicher Abstammung hier wohnte. Dieser Mann war Priester und zugleich Lehrer des Königs mit Namen Yajnavaraha und dürfte jedenfalls mit Ehren und Reichtum derart beschenkt worden sein, daß er einen kleinen Wundertempel für sich bauen konnte.


Ein Beispiel, Wie mit Wandschirmen offene Tore und Türen abgeschirmt wurden, um nicht
fremdeBlicke, doch kühlen Wind durchzulassen. Ausschnitt aus einem Wandgemälde.


Diese Architraven sind in Sandstein gehauen und gehören zum Schönsten,
was dekorative Plastik Hier Zeiten aufzuweisen hat.

Darstellungen aus der indischen Sagenwelt, mit Blatt motiven, in einer formvollendeten Ornamentik.

Banteay Srei wird als schönstes Kleinod unter den vielen Tempeln von Angkor bewertet. Erbaut wurde dieses Kunstwerk im 10. Jahrhundert; es ist Shiva geweiht. Der Hauptturm, das eigentliche Sanktuarium, hat in seiner Mitte das Shiva.Wahrzeichen : einen Lingam. Was aber diesen Tempel vor allen andern auszeichnet, sind seine Reliefs und die prachtvolle Ornamentik. Auch die Dimensionen der Architektur wirken trotz der effektiven Kleinheit groß. Die Eingangstore überraschen durch ihre bizarren Giebel, die mit einer in Stein übertragenen japanischen Holzarchitektur vergleichbar sind. Sehr schöne Reliefs zieren die Giebelfelder. Löwenstandbilder flankieren die Portale sowie die kleinen Treppen. Durch das Portal geht der Blick frei bis ins Innerste der Tempel. Seinerzeit waren die Hauptöffnungen mit Holztüren verschlossen und die Eingänge zu den Innenräumen durch Wandschirme abgedeckt. Dadurch hat der Wind freien Zutritt, doch verwehrten die Wandschirme den Einblick in die Gemächer. Wie auf dem Bilde auf Seite 117 sichtbar, sind diese Wandschirme etwa ein bis zwei Meter hinter der Türöffnung aufgestellt. Sehr schöne Ornamente zierten solche Schutzwände, die auch in ihrer Form sich der Architektur anpassten. Noch heute werden diese Wandschirme verwendet und sind überall in den Tropen zu kaufen.

Gold spielte im Kunsthandwerk eine Hauptrolle, nicht nur wertmäßig, sondern auch wegen seiner schönen Farbe. Viele Wände und Reliefs waren vergoldet, was durch aufgefundene Spuren belegt ist. Oft sind Ornamente polychrom bemalt gewesen, die Zeit hat jedoch alle Farbe zerstört und nur den nackten Stein zurückgelassen. Auch Fensteröffnungen wurden durch Steinsäulen abgeschlossen, wie WIr sie in Angkor vorfinden.

Der Grundriß der ganzen Tempelanlage zeigt einen äußeren und einen inneren Baukomplex. Bewohnt waren nur die Bauten außerhalb der eigentlichen Tempelanlage. Vorgelagert ist ein großer Hof, durch welchen der gepflästerte Hauptweg führt. Auf jeder Seite befinden sich lange Bauten, deren hölzerne Dachkonstruktion leider vermodert ist. Es stehen nur noch einige Steinsäulen dieser Wohntrakte. Besonders reizvoll an diesem Zugang sind die vielen Grenzsteine, die wie eine Ehrengarde den Gast empfangen und vor dem Betreten des Heiligtums in eine innere Ergriffenheit versetzen. Die meisten TempeJbauten in Angkor werden in drei Terrassen aufgeteilt wobei die dritte am höchsten gelegen ist. Hier jedoch ist das ganze Bauwerk auf ebenem Boden. Die erste Umfassungsmauer umschließt zwei Wasserbassins von beachtlicher Größe. Diese ermöglichten es, in heiligem Wasser zu baden. Zugleich war diese Anlage als «Symbol für das Meer» gedacht. Die zweite Einfriedung, die ebenfalls durch prachtvolle Portale erreicht wird, hat zwei Bibliothekbauten, die vielleicht auch Schulen gewesen sind. Diese zweite Zone war das «Symbol der Erde». Die dritte und innerste Umfassung zeigt das eigentliche Heiligtum, einen Mittelbau mit drei Kuppeln, das «Symbol für den Berg Meru» . Hier finden wir ebenfalls zwei Bibliotheksgebäude. Diese dritte Umfassungsmauer hat nur ein Geviert von 22 X 22 Meter, wird aber als das Herz der angkorianischen Kunst bezeichnet.

Hier sind Ornamente von nie dagewesener Schönheit, von außerordentlichem handwerklichem Können. Nicht nur die figürliche Darstellung bildet in Banteay Srei den Höhepunkt, auch das Ornamentale. Trotzdem jede Fläche mit dekorativen Reliefs bedeckt ist, sind die architektonischen Grundformen klar erkennbar. Steinhauer errichteten den Rohbau, und hernach kamen die Bildhauer, um an Ort und Stehe ihrer Phantasie freien Lauf zu geben. Oft wirken diese Ornamente, als wären sie Arbeiten aus der Barockzeit oder der Renaissance. Auch hier wurden Tiere und Figuren in das Rankenwerk eingeflochten, jedoch sind bei den Khmer die Motive immer religiöser Art. Ornamente zu komponieren, das muß den Khmer-Künstlern leicht gefallen sein. Welch frisches Leben diese Reliefs spiegeln, ihr Formenreichtum, das Spiel zwischen pflanzlichen und tierischen Motiven, und trotzdem wirkt die Gesamtkomposition als Einheit. Khmer-Bildhauer waren wirklich Meister in ihrem Handwerk.

Als Vorlagen benützten diese Künstler Zeichnungen auf Papier, die sie auf den Stein übertrugen. Mit Spitzeisen wurden die Konturen eingemeißelt, um hernach mit dem Aushauen und Ausbohren zu beginnen. Dann konnten sie ihren Formensinn entfalten. Die beiden abgebildeten Türstürze, sogenannte Architraven, zeigen, wie schön sie stilisierte Natur- und Kunstformen zusammenwachsen ließen. Alle diese dekorativen Reliefs sind einer Gottheit geweiht, die fast immer in der Mitte des Rankenspiels zu erkennen ist. An prominenten Stellen sind auch figürliche Darstellungen mit besonderem (121) Liebreiz, es sind Gottheiten, die in bizarr geformte Nischen hineinkomponiert wurden. Die Körper der weiblichen Figuren sind etwas untersetzt, ähnlich dem damaligen Typus der Frauen. Sie tragen schweren Goldschmuck, sind jedoch einfach in ihrer Haartracht. Besonders auffallend ist das schwere Ohrgehänge, das die Ohrläppchen derart herunterzieht, daß sie die Schultern berühren. Über den Figuren hängt eine Blumengirlande, wie dieselben bei festlichen Anlässen verwendet werden. Das Podium, auf welchem sie stehen, wird von Tieren oder Vögeln getragen, die der dargestellten Gottheit zugeschrieben sind.




Konservator Henri Marchal, ein Archäologe, hat in jahrelanger Arbeit
Banteay Srei vom Busch gereinigt und wieder aufgebaut.

Die männlichen Figuren sind stärker stilisiert, verraten noch den Prä-Khmer-Stil, tragen Speer und Lotosknospe. Die Kleidung ist leicht angedeutet und spiegelt zart den Faltenwurf. Die Haare sind mitten auf dem Kopf zusammengeflochten, wie wir dies bei verschiedenen Gottheiten abgebildet vorfinden. Diese Hochreliefs zeigen bereits angewandte Perspektive, die Verkürzung der Unterarme sowie bei der Darstellung der Füße. Überraschend ist das Größenverhältnis dieser Arbeiten. Obschon das Material nur Sandstein ist, sind die Zeichnungen der Ornamente derart klein, daß man glaubt, die Arbeit eines Goldschmiedes vor sich zu haben. Und doch hat der Stein die Feinheit der Modellierung, die Kanten und Rundungen über acht Jahrhunderte behalten.


Das Hauptwerkzeug für diese Ornamentik waren Steinbohrer. Trotz der Feinheit
dieser Ramken hat der Sandstein die Modelierung sehr gut erhalten.
Der Hauptweg zu Banteay Srei mit den heiligen Grenzsteinen. von den Wohnbauten
aufbeiden Seiten stehen zu noch einige Steinsäulen, alles Holzwerk ist vermodert.

Was in Banteay Srei besonders auffällt und jeden Besucher überrascht : man ist sofort vertraut mit der Khmer-Kunst. Alle Werke sind in Augenhöhe, man glaubt in einer Privatgalerie zu sein. Oft sind die Türen so nieder gehalten, daß man sich beim Durchschreiten bücken muss. Trotzdem wirkt das Ganze edel und groß. Banteay Srei ist der kleinste Tempel in Angkor, im Grössenverhältnis an letzter Stelle, aber in künstlerischer Hinsicht gehört dieser Khmerbau in den vordersten Rang.