7. BAYON

Auch die Geschichtsforschung machte bei diesem Tempel einige Sprünge. Erst wurde seine Entstehung ins 9. Jahrhundert versetzt, hernach dem König Jayavarman VII., der dreihundert Jahre später regierte, zugeschrieben. Was dem Bau eine besondere Wichtigkeit gibt: er war als Mittelpunkt der Stadt, des Khmer-Reiches, ja sogar der Welt gedacht. Um den Hauptturm reihen sich etwa fünfundvierzig (45) [Laut Chiv Ta Kwan Tagebuch hat der Turm darüber 49 Brahma-Gesichter, einschließlich der Spitze des Eingangstors. Die anderen 5 sind insgesamt 54.] kleinere Türme, alle mit vier großen Gesichtern, die nach den Himmelsrichtungen schauen. Jede dieser Kuppeln bildet oben eine Lotosblüte. Die Deutung dieser vielen Türme ist noch nicht geglückt. Man weiß noch nicht, ob leier die verschiedenen Provinzen dargestellt wurden oder ob es sich um die Zahl der Königinnen handelt. Wie dem auch sei, diese Türme, wie auch die Gesichter mit dem berühmten Khmer-Lächeln, beschäftigen die Archäologen. Erst wurden die Gesichter als Abbilder von Brahma bezeichnet, hernach als Porträts von Jayavarman VII., dem Erbauer. Coedès deutet sie als Lokeshvara. Vielleicht kommt bei einer spätern Ausgrabung eine Schrifttafel zum Vorschein, die das Rätsel löst. Jedenfalls sind diese großen Köpfe Kunstwerke erster Ordnung, Ausdruck und Modellierung sind geradezu klassisch.

Auf weiteren Bildhauerarbeiten Enden wir in der unteren Galerie große Reliefs und auf jeder Säule tanzende Apsaras -- göttliche Tänzerinnen. Die Wände zeigen Darstellungen aus dem Leben der Khmer, sie erzählen von Krieg und Frieden. In der Modellierung sind sie sehr einfach gehalten, die Figuren wirken wie Silhouetten, der Grund ist sehr stark vertieft. Dadurch wirken diese Motive auch bei schlechter Beleuchtung sehr plastisch. Zudem ist anzunehmen, daß da einst noch Farbe im Spiel war. Das darüberliegende Dach, das heute fehlt, verhinderte seinerzeit eine seitliche Beleuchtung. So wurde zum mindesten der Grund dieser Reliefs mit einer dunkeln Farbe versehen, um den figürlichen Teil besser zur Wirkung kommen zu lassen. Für Archäologen sind diese Reliefs wahre Fundgruben. Sie zeigen das Leben der Khmer, lassen Kriegsknechte, Priester, Hofleute, Variétéleute, Schreiner, Schmiede, Köche vorbeimarschieren. Sehr eindrucksvoll sind Wasserschlachten auf Schiffen zwischen Khmer und Cham abgebildet. Ebenso sind Tiere des Wassers, wie Fische, Krokodile, Schildkröten dargestellt, und es werden auch Jagdszenen mit Bügeln, Wildschweinen und Tigern gezeigt. Ein Hauptgewicht wurde dem Vorbeimarsch der Elefantentruppe vor dem König eingeräumt, wobei der ganze Hof mit allen Prinzen und Prinzessinnen zuschaut.

Eine besondere Rarität ist ein Kampf zwischen Mensch und Löwe. Diese Darstellung zeigt, dass noch im 12. Jahrhundert freilebende Löwen hier vorkamen. Diese Löwenjagd galt jedenfalls als Höhepunkt des Mutes, an ihr teilzunehmen war die höchste Auszeichnung für erfolgreiche Jäger. beute noch finden wir in dieser Gegend den Tiger, doch dieser stellt sich nie zum Kampfe; er überfällt sein Opfer in der Nacht oder aus dem Versteck heraus. Der Löwe jedoch, in die Enge getrieben, stellt sich und greift auch am Tage den Menschen an. Und die Moral von der Geschichte: der Tiger ist geblieben, der Löwe wurde ausgerottet.

Nicht zu vergessen sind die Darstellungen von Brahma, Shiva, Vishnu, von Ganesha, Parvati, Lakshmi und andern schönen Götterfrauen. Es ist bezeichnend für die Toleranz der Könige, dass neben dem Buddhismus auch die Brahmanen mit ihrer Religion zur Geltung kamen.

Fünfundvierzig solcher Türme umgeben den Hauptturm, jeder besitzt
vier riesengrosseGesichter mit dem typischen Khmer-Lächeln.

Der Bayon ist eines der letzten Bauwerke des Königs Jayavarman VII. Kein Tempel zeigt eine solche Vielfalt in der Architektur und Qualität der Plastik. Nirgends wurde derart oberflächlich und riskant gebaut, und nirgends sonst sind die Reliefs im Stil derart verschieden, bald streng stilisiert, bald ganz naturalistisch.

Unklarheit herrscht auch noch über die Sinndeutung dieses Tempels. Sowohl Buddhismus als auch Hinduismus sind vertreten, doch am höchsten Punkt im obersten Mittelturm ruht eine Statue «Buddha meditierend», beschützt von der Naga, als größtes Heiligtum dieses Tempelberges. Von hier blickten hundertachtzig große Gesichter auf die Stadt, auf das Volk. War hier vielleicht das Grab von König Jayavarman VII. ?